Mit Hilfe der überragenden Bildschärfe des James Webb Weltraumteleskops (James Webb Space Telescope, kurz JWST) der NASA bei Infrarotwellenlängen erhalten Wissenschaftler*innen einen Blick auf Sterne, Gas und Staub in nahen Galaxien, der fehlende Teile des Sternentstehungspuzzles aufdecken wird. Die ersten sensationelen Beobachtungen haben nun eine erste Sammlung von 17 Forschungsarbeiten ermöglicht, darunter auch mit Erstautoren des Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH). Diese wurden jetzt in einer Sonderausgabe von The Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.
Die umfangreichste Beobachtung naher Galaxien im ersten Jahr des JWST namens PHANGS ("Physics at High Angular resolution in Nearby Galaxies") wird von einer Gruppe aus mehr als 100 Forscher*innen aus der ganzen Welt durchgeführt. Auch Astronom*innen des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) sind an diesem spannenden Projekt beteiligt.
Das PHANGS-Team untersucht dazu eine Stichprobe von 19 Spiralgalaxien in größtem Detail und hat bereits Jahre damit verbracht, diese Galaxien bei optischen, Radio- und ultravioletten Wellenlängen mit dem Hubble-Weltraumteleskop der NASA, dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array und dem Multi Unit Spectroscopic Explorer des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) zu beobachten. Doch die frühesten Stadien im Lebenszyklus eines Sterns blieben dabei stets außer Sichtweite, weil die Vorgänge hinter Gas- und Staubwolken verborgen sind.
Doch infrarote Strahlung kann den Staub durchdringen. Und da das JWST ein Infrarotteleskop ist, kann es die fehlenden Puzzleteile mit seinem scharfen Auge zu einem umfassenden Bild der Sternentstehung verbinden. Das JWST hat in den ersten Monaten des wissenschaftlichen Betiebs bereits fünf Objekte aus der PHANGS-Liste beobachtet: die Galaxien M74, NGC 7496, IC 5332, NGC 1365 und NGC 1433. Und von den Ergebnisse sind Astronom*innen absolut verblüfft.
So verraten die neuesten Bilder des Superteleskops ein komplexes Netzwerk von Strukturen innerhalb dieser Galaxien. Leuchtende Staubhöhlen und riesige hohle Gasblasen durchsetzen die Spiralarme. In einigen Regionen scheint dieses Netz sowohl aus einzelnen als auch aus überlappenden Schalen und Blasen aufgebaut zu sein, innerhalb derer junge Sterne ihre Energie freisetzen.
Bei bestimmten infraroten Wellenlängen ist man besonders empfindlich gegenüber Emissionen von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs), die eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Sternen und Planeten spielen. Diese Moleküle wurden vom JWST bereits bei den ersten Beobachtungen des PHANGS-Programms nachgewiesen.
Dr. Kathryn Kreckel, Emmy Noether-Forschungsgruppenleiterin am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH), leitet die wissenschaftliche Arbeitsgruppe von PHANGS, die den Zusammenhang zwischen Gasionisation und Sternentstehung untersucht.
Dort nutzt Dr. Oleg Egorov, Postdoc in Kreckels Forschungsgruppe, das JWST, um PAKs zu untersuchen, die im interstellaren Medium allgegenwärtig sind. Deren Emission kann als Indikator der physikalischen und chemischen Prozesse im interstellaren Medium dienen. Aus Studien, die mit Infrarot-Weltraumteleskopen früherer Generationen durchgeführt wurden, war bereits bekannt, dass PAKs in Regionen mit ionisiertem Wasserstoffgas weniger häufig vorkommen. Solche Gaswolken aus ionisiertem Wasserstoffgas werden von Astronom*innen auch HII-Regionen genannt. Welcher Prozess dieses Vorkommen regelt, was bisher unklar.
"Dank JWST konnten wir die Eigenschaften von PAKs untersuchen und fanden heraus, dass deren Häufigkeit stark von der Intensität der ionisierenden ultravioletten Strahlung in HII-Regionen abhängt. Dagegen spielt die Häufigkeit schwerer Elemente im interstellaren Medium, auch "Metallizität" genannt, und die Härte der ultravioletten Strahlung entgegen der bisherigen Annahme nur eine untergeordnete Rolle", erklärt Dr. Egorov.
Oleg Egorov betont, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Eigenschaften von PAKs allein mit bodengebundenen Teleskopen zu messen, da dafür Beobachtungen im mittleren Infrarotbereich erforderlich sind, der von der Erdoberfläche aus nicht zugänglich ist. JWST ist das erste Instrument überhaupt, mit dem die Eigenschaften von PAK-Molekülen in einzelnen HII-Regionen oder Molekülwolken in relativ weit entfernten Galaxien gemessen werden können.
Für Egorov ist eines der vielen spannenden Dinge an der Arbeit in einem großen Team wie der PHANGS-Kollaboration, dass darin Menschen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen, Fähigkeiten und Interessen zusammenarbeiten. "Unmittelbar nachdem die ersten Daten eingetroffen waren, begannen wir alle gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir die Strukturen, die wir nie zuvor in solchen Galaxien gesehen haben, interpretieren können," erinnert er sich. "Dank dieser Zusammenarbeit hat das Team bereits jetzt, nur ein halbes Jahr nach Erhalt der ersten JWST-Bilder, viele neue wissenschaftliche Ergebnisse zur Veröffentlichung erarbeitet - das ist sehr aufregend!" schwärmt der junge Wissenschaftler.
Durch die Untersuchung von Wechselwirkungen auf kleinsten Skalen versucht man zu verstehen, wie sich Galaxien als ganzes im Laufe der Zeit entwickelt haben.
Dr. Elizabeth Watkins, die ebenfalls in Kathryn Kreckels Forschungsgruppe arbeitet, untersuchte zusammen mit ihren Kolleg*innen eine einzelne 30 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie und entdeckte dabei rund 1700 Blasen oder Taschen aus heißem expandierendem Gas. Diese Blasen treiben dünne Schalen aus kälterem Gas und Staub vor sich her, die auf Bildern als Löcher erscheinen. Die kleinsten hatten rund 40 Lichtjahre, einige aber auch bis zu 3000 Lichtjahre Durchmesser und werden von Ansammlungen junger Sternen erzeugt. Das verrät Watkins etwas über die Voraussetzungen, damit sich Sterne überhaupt bilden zu können.
Für Watkins ist das JWST entscheidend für diese Untersuchung. Auf der Erde absorbiert die Atmosphäre das Infrarotlicht, mit dem sich die Hüllen dieser Blasen nachweisen lassen. Im Weltraum dagegen erreicht das infrarote Licht das JWST ohne Störungen und ermöglichte es Watkins und ihren Kolleg*innen auf de außergewöhnlich scharfen Bilder auch kleinste Blasen zu identifizieren.
"Wir haben ungefähr mit 10 Leuten in einem Raum zusammengearbeitet, um die frisch eintrudelnden Daten sofort auszuwerten. Am Ende des Tages haben wir unsere Arbeit an Teams in den USA weitergegeben, damit sie weitermachen konnten", beschreibt Watkins ihre Erfahrungen mit JWST. "Teil der gemeinsamen Anstrengung zu sein und zusammenzuarbeiten, um nicht nur diese Forschungsarbeit, sondern 20 weitere zu produzieren, war sehr lohnend. Ich habe in den letzten sechs Monaten wirklich viel gelernt", erinnert sich Dr. Watkins.
Auch die ZAH-Forschungsgruppe von Dr. Mélanie Chevance am Institut für Theoretische Astrophysik des ZAH nutzt JWST-Daten, um Sternentstehungsproesse in Galaxien zu untersuchen. Ihre Doktorandin Jaeyeon Kim war zum ersten Mal in der Lage, die tief in einer fernen Galaxien eingebettete Sternentstehung zu untersuchen und wichtige Umgebungseinflüsse zu identifizieren, die für die Regulierung insbesondere der frühen Phase der Sternentstehung verantwortlich sind.
Sterne bilden sich tief eingebettet in ihrer Geburtswolke. Daher wird jede Strahlung dieser neu entstandenen Sterne vom umgebenden interstellaren Staub absorbiert und für uns unsichtbar. Die einzige Möglichkeit, diese frühe Phase zu erkennen, besteht darin, die infrarote Strahlung des Staubs zu untersuchen, wie es jetzt mit Webb im Detail möglich wurde.
Für Kim war es eine Freude, mit JWST-Bildern zu arbeiten. "Als ich die Bilder zum ersten Mal sah, war ich schockiert zu sehen, wie hübsch und anders die Galaxien im Vergleich zu den Bildern vor JWST aussahen", erinnert sich Kim an ihre Gefühle und fügt hinzu, dass sie von allen Experten für PHANGS große Hilfe und Anleitung erhalten hatte. "Es war mir eine Ehre, dass ich als Doktorandin mit diesen schönen Bildern umgehen durfte", beschreibt Jaeyeon Kim ihre Erfahrungen im PHANGS-Team.
Das PHANGS-Team wird daran arbeiten, die Webb-Daten mit komplementären Beobachtungen abzugleichen, die zuvor von den anderen Observatorien durchgeführt wurden. Diese sollen im dann öffentlich zur Verfügung gestellt werden, um neue Entdeckungen durch eine breitere astronomische Gemeinschaft zu beschleunigen.
Dank Webbs herausragender Bildqualität gelang erstmals eine vollständige Inventur der Struktur interstellarer Gasblasen in nahen Galaxien jenseits der Lokalen Gruppe. Diese wird uns helfen zu verstehen, wie sich die Sternentstehung und Rückkopplungen aus diesem Vorgang auf das interstellare Medium auswirken, das die nächste Generation von Sternen hervorbringt oder ob deren Bildung sogar behindert wird.
Das James Webb Space Telescope (JWST) ist das weltweit führende Weltraumobservatorium. Webb wird Geheimnisse in unserem Sonnensystem lösen, über ferne Welten um andere Sterne hinausblicken und die mysteriösen Strukturen und Ursprünge unseres Universums sowie unseren Platz darin untersuchen. Hinter dem JWST steht ein internationales Programm, das von der NASA mit ihren Partnern ESA (European Space Agency) und CSA (Canadian Space Agency) geleitet wird.
ORIGINALE PUBLIKATION
Die Astrophyical Journal Letters Focus Series
DARIN ENTHALTENE PUBLIKATIONEN VON ZAH WISSENCHAFTLE*INNEN
Jaeyeon Kim et al., PHANGS-JWST First Results: Duration of the early phase of massive star formation in NGC628
Elizabeth J. Watkins et al., PHANGS-JWST First Results: A statistical view on bubble evolution in NGC628
Oleg V. Egorov et el., PHANGS-JWST First Results: Destruction of the PAH molecules in HII regions probed by JWST and MUSE
RELEVANTE PRESSEMITTEILUNGEN
Webb Reveals Intricate Networks of Gas and Dust in Nearby Galaxies
Pressemitteilung der Universität Heidelberg
ERGÄNZENDE INFORMATIONEN
PHANGS Kollaboration Homepage
Webb Space Telescope Homepage
European Southern Observatory (ESO)
Center for Astronomy at Heidelberg University (ZAH)
LOKALER CONTAKT FÜR DIE MEDIEN
Dr. Guido Thimm
Center for Astronomy at Heidelberg University (ZAH)
thimm@uni-heidelberg.de