Enthüllung der verborgenen Muster kosmischer Turbulenzen: Neue Studie kartiert die magnetische Unordnung des interstellaren Mediums
In einer bahnbrechenden Studie unter Leitung eines internationalen Forscherteams, an dem auch Ralf Klessen vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg beteiligt ist, hat sich der bisher detaillierteste Überblick darüber ergeben, wie sich die Turbulenz im magnetisierten interstellaren Medium (ISM) zwischen den Sternen verhält. Zum ersten Mal haben die Forscher in ihrer Simulation die gesamte Bandbreite der turbulenten Energie großskalig mit bisher unerreichter numerischer Auflösung unter Berücksichtigung der komplexen magnetischen Eigenschaften quantitativ kartiert. Die Ergebnisse bieten wichtige Einblicke in Prozesse, die die Struktur und Entwicklung von Galaxien bestimmen, einschließlich der Sternentstehung, der Magnetfelddynamik und der Ausbreitung kosmischer Strahlung. Die Studie mit dem Titel "The spectrum of magnetized turbulence in the interstellar medium" wurde jetzt in NATURE Astronomy veröffentlicht.
Turbulenzen sind ein bekanntes Phänomen im Alltag. Jeder, der schon einmal einen holprigen Flug erlebt oder beobachtet hat, wie sich Rauch unvorhersehbar von einer Flamme empor kräuselt, hat Turbulenzen erlebt - die chaotische, scheinbar zufällige Bewegung in Flüssigkeiten wie Luft oder Wasser.
Doch Turbulenzen beschränken sich nicht nur auf unsere Alltagswelt. Sie füllt auch den Raum zwischen den Sternen in unserer Galaxie, das sogenannte interstellare Medium (ISM), wo sie eine entscheidende Rolle bei der Sternentstehung, dem Transport kosmischer Strahlung und der Struktur galaktischer Magnetfelder spielen.
Die Herausforderungen kosmischer Turbulenzen
Im Gegensatz zu erdgebundenen Turbulenzen treten Turbulenzen im Weltraum in einem Plasma auf, einem heißen, elektrisch geladenen Gas, das von Magnetfeldern durchdrungen und stark beeinflusst wird. Das macht es besonders schwierig, zu beobachten und zu modellieren, was da draußen vor sich geht.
"Durch die Analyse unserer weltweit größten Simulation magnetisierter Turbulenzen - die entwickelt wurde, um galaktische Bedingungen nachzubilden - haben wir beispiellose, hochpräzise Daten erhalten, die große Abweichungen von den klassischen Modellen aufzeigen", erklärt James Beattie vom Department of Astrophysical Sciences der Princeton University und dem Candian Institute for Theoretical Astrophysics der University of Toronto und Hauptautor der Studie. "Insbesondere stellen wir fest, dass ein Eckpfeiler der Turbulenztheorie im magnetisierten Fall zusammenbricht und was einen grundlegenden Fortschritt in unserem Verständnis der astrophysikalischen, magnetisierten Turbulenz darstellt", bewertet Beattie die neuen Erkenntnisse.
Ein grundlegender Prozess in der Turbulenz ist die sogenannte turbulente Kaskade, bei der Energie, die auf großen Skalen in ein Fluid oder Plasma eingebracht wird, Schritt für Schritt auf immer kleinere Skalen übertragen wird, bis sie schließlich als Wärme abgeführt wird. "Die turbulente Kaskade im Interstellaren Medium erstreckt sich über viele Größenordnungen, weit größer, als wir es auf einem Computer realistisch modellieren wollten", erklärt Ralf Klessen, Heidelberger Experte für interstellare Turbulenz und Mitautor der Forschungsarbeit.
Der Astrophysiker leitet die Forschungsgruppe Sternentstehung an der Universität Heidelberg, um die physikalischen Prozesse zu identifizieren und zu charakterisieren, die die Entstehung von Sternen in der Gegenwart und im frühen Universum bestimmen.
Als besonders interessant bewertet Klessen den Übergang zwischen Überschall- und Unterschallturbulenz. "Die sogenannte Schallskala ist ein wichtiger Parameter in unseren theoretischen Modellen der Sternentstehung. In dieser neuen Berechnung ist es uns schließlich erstmals gelungen, diesen wichtigen Übergang in Gegenwart von Magnetfeldern am Computer aufzulösen und zu beschreiben", erklärt Klessen begeistert.
Zentrale Ergebnisse der Studie
Was die Astrophysiker in ihren Simulationen finden, stimmt nur bedingt mit den Vorhersagen von Modellen der magnetischen Überschallturbulenz überein und es braucht offensichtlich einen neuen theoretischen Ansatz. Das Team beobachtete ausdrücklich, dass Magnetfelder die Art und Weise verändern, wie Energie durch das ISM kaskadiert, kleinräumige Bewegungen unterdrückt und bestimmte wellenartige Störungen, die als Alfvén-Wellen bekannt sind, verstärken. Ihre Ergebnisse helfen auch zu erklären, wie Turbulenzen gleichzeitig Gaswolken gegen den Gravitationskollaps stützen und lokal die für die Sternentstehung notwendigen Bedingungen herbeiführen können. Die Ergebnisse haben auch Auswirkungen auf unser Verständnis des Transports der kosmischen Strahlung, der Ausrichtung interstellarer Staubkörner und der Interpretation astronomischer Beobachtungen über das gesamte elektromagnetische Spektrum.
Technische Errungenschaften
Das Team führte Simulationen mit Reynolds-Zahlen von über einer Million durch, ein Rekord für diese Art von Studie. Die Reynolds-Zahl ist eine dimensionslose Größe, die das Verhältnis von Trägheitskräften zu viskosen Kräften in einer Fluidströmung misst. Höhere Werte deuten auf turbulentere Strömungen hin. Die Reynolds-Zahl für den Fluss von Blut in menschlichen Adern liegt bei etwa 2000, was Turbulenzen im Zentrum des Blutflusses erwarten lässt. Für einen Blauwal, der sich durch Wasser bewegt, sind liegt die Reynolds-Zahl bei einigen Millionen, was bedeutet, dass die Trägheitskräfte über die viskosen Kräfte dominieren und die Bewegung des Wals weitgehend von seiner Größe und Geschwindigkeit und nicht von der Viskosität des Wassers bestimmt wird.
Das Erreichen solch hoher Reynolds-Zahlen ermöglicht eine genauere Darstellung astrophysikalischer Turbulenzen. Um dies zu erreichen, wurden für die Simulation über 80 Millionen CPU-Stunden benötigt, die auf fast 140.000 Rechenkerne auf dem Hochleistungs-Supercomputer SuperMUC-NG am Leibniz-Rechenzentrum verteilt waren. Mit einer räumlichen Auflösung von 10.080³ Gitterzellen untersuchten die Forscher, wie Gasbewegungen und Magnetfelder innerhalb des interstellaren Mediums interagieren.
Im Gegensatz zu vielen früheren Studien, die von inkompressiblen Strömungen mit einem statischen Magnetfeld ausgingen, schlossen die Forscher kompressible Turbulenzen und ein Magnetfeld ein, das selbstkonsistent von einem Dynamo erzeugt wurde, so ähnlich wie das Magnetfeld um die Erde oder die Sonne, wo extrem starke Dichteschwankungen, Schockwellen und realistischere, chaotische Magnetfelder vorhanden sind, die von den galaktischen Turbulenzen aufrechterhalten werden. Dieser Ansatz bietet ein realistischeres Modell astrophysikalischer Plasmen, die oft Überschallströmungen aufweisen.
Die vorliegende Berechnung und ihre Analyse eröffnen neue Wege zum Verständnis astrophysikalischer Turbulenzen und ihrer statistischen Eigenschaften. Diese Ergebnisse werden in zukünftige Modelle der Sternentstehung im Überschallbereich des turbulenten, mehrphasigen ISM einfließen.
Auf dem Weg zu einem vollständigeren galaktischen Modell
Das neue Modell bietet einen Maßstab für Computersimulationen galaktischer Umgebungen und hilft bei der Verfeinerung von Modellen, die z.B. in der Radioastronomie und bei Weltraummissionen verwendet werden. Es unterstützt auch die breiteren Bemühungen zu verstehen, wie unsichtbare Kräfte - wie magnetisierte Turbulenzen - die sichtbaren Strukturen des Universums formen. "Das interstellare Medium mag leer erscheinen, aber es ist eine dynamische, turbulente Umgebung", sagt Christoph Federrath von der Australian National University in Canberra, der ebenfalls stark in dieses Projekt involviert ist. "Wir konnten charakterisieren, wie sich turbulente Energie von den größten galaktischen Skalen bis hinunter zu den Skalen verteilt, auf denen die Sternentstehung beginnt", ergänzt sein Heidelberger Kollege Ralf Klessen. Insgesamt wurde deutlich, dass unsere Galaxie keine statische, sondern eine dynamische, turbulente Umgebung ist, und die neue Studie bringt uns dem Verständnis der physikalischen Gesetze, die sie bestimmen, einen Schritt näher.
Implikationen für die Astronomie
Dies ist das erste Mal, dass solche Simulationen mit dieser Präzision und in diesen Maßstäben durchgeführt wurden. Die Ergebnisse kommen zu einer Zeit, in der es immer mehr technische Möglichkeiten der Beobachtungen des ISM gibt und ein wachsendes Interesse daran besteht, zu verstehen, wie Turbulenzen die Sternentstehung und die Entwicklung von Galaxien beeinflussen. Wenn neue Instrumente in Betrieb genommen und in der Lage sein werden, die Fluktuationen des turbulenten Magnetfelds in der gesamten Galaxie sehr detailliert zu messen - wie das Square Kilometre Array (SKA) - können genaue theoretische Vorhersagen für magnetisierte Turbulenzen durch Beobachtungen getestet werden, was unser Verständnis der Struktur und Entwicklung unserer kosmischen Heimat - der Milchstraße - möglicherweise verfeinern wird.
ORIGINALE WISSENSCHAFTLICHE VERÖFFENTLICHUNG
"Das Spektrum der magnetisierten Turbulenz im interstellaren Medium",
veröffentlicht in NATURE Astronomy, DOI: 10.1038/s41550-025-02551-5. Preprint auf Arxiv: arxiv.org/pdf/2504.07136
ZUSATZINFORMATION
Zugriff auf Simulationsdaten
Alle in der Studie vorgestellten Simulationsrohdaten für zeitlich gemittelte Energiespektren, Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktionen und Strukturfunktionen sind im GitHub-Repository verfügbar: github.com/AstroJames/10k_supersonicMHD.
Die Forschungsgruppe Sternentstehung an der Universität Heidelberg
Primäres Forschungsziel dieser Arbeitsgruppe unter der Leitung des Astrophysikers Prof. Dr. Ralf Klessen ist es, die physikalischen Prozesse zu identifizieren und zu charakterisieren, die die Entstehung von Sternen in der Gegenwart und im frühen Universum steuern. Zu seinen wissenschaftlichen Interessen gehören die Gasdynamik und -chemie im interstellaren Medium, die Entstehung und Entwicklung von Galaxien wie der Milchstraße, astrophysikalische Turbulenzen, Magnetfelder und Dynamoprozesse, stellare Dynamik, Entwurf und Optimierung numerischer Algorithmen in der computergestützten Astrophysik sowie Entwicklung und Anwendung moderner Methoden des maschinellen Lernens. Die Forschungsgruppe ist am Institut für Theoretische Astrophysik (ITA) angesiedelt, das zum Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) gehört. Weitere Informationen finden Sie unter www.klessen.org
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
Das Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg ist die größte universitäre Astronomiegruppe in Deutschland und schließt sich den Instituten anAstronomisches Rechen-Institut (ARI), Landessternwarte Königstuhl (LSW) und Institut für Theoretische Astrophysik (ITA). Das 2005 gegründete Forschungs- und Lehrspektrum reicht von der Planetenentstehung und Galaxienentwicklung über Kosmologie und modernste Computerphysik bis hin zur Entwicklung und Montage von Instrumenten für Teleskope und der Beteiligung an Satellitenprojekten. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Website des Zentrums Forschungsgruppen und seine Forschungskooperationen. Weitere Informationen finden Sie unter www.zah.uni-heidelberg.de.
Nützliche Links
- Homepage des COSMOS-Web-Projekts
cosmos.astro.caltech.edu/page/cosmosweb - Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
zah.uni-heidelberg.de/welcome - Forschungshomepage von Prof. Dr. Ralf Klessen
www.klessen.org - Forschungshomepage von Dr. James Beattie
astrojames.github.io - Leibniz-Rechenzentrum
www.sc.lrz.de - Quadratkilometer-Array (SKA)
www.skao.int/en
WISSENSCHAFTLICHER KONTAKT
Prof. Dr. Ralf Klessen
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Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
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