Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Ultragenaue Simulation des interstellaren Mediums


Die Abbildung zeigt einen Schnitt durch den Kubus, in dem die Turbulenzsimulation durchgeführt wurde. Die Farben zeigen den Dichtekontrast relativ zur mittleren Dichte des Gases. Deutlich erkennbar ist dessen turbulente Struktur. Insbesondere treten die zahlreichen Schockfronten hervor, erkennbar an den scharfen Dichtensprüngen von hoher Dichte (hell orange) zu niedriger Dichte (dunkel violett). Dies wird insbesondere in der Ausschnittvergrößerung deutlich. (Quelle: C. Federrath)

Das auf diesem Bild gezeigte Gebiet ist als Polaris Flare bekannt, eine Region aus Staub und Gas im Sternbild Kleiner Bär, 490 Lichtjahre von der Erde entfernt. Es wurde vom Herschel-Infrarot-Weltraumobservatorium der ESA aufgenommen und ist als Farbkomposit gezeigt. Erkennbar sind mehrere interstellare Filamente, die sich über zehn Lichtjahre erstrecken. In die Filamente sind dichtere Kerne eingebettet, die in Zukunft zu Sternen werden könnten. Federrath und seine Kollegen verglichen die Eigenschaften dieser Filamente und derjenigen in anderen Molekülwolkenregionen mit ihren Simulationen und fanden eine sehr gute Übereinstimmung. (Quelle: ESA und die SPIRE & PACS-Konsortien, Ph. André (CEA Saclay) für das Goulds Belt Survey Key Program Consortium und A. Abergel (IAS Orsay) für die Entwicklung des Interstellar Dust Key Program Consortium)

Ein Team von Astrophysikern um Christoph Federrath von der Australien National University (ANU)und Ralf Klessen vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH/ITA) hat die bislang höchstaufgelösten Simulationen zur Turbulenz in interstellaren Gas- und Molekülwolken durchgeführt. Die Ergebnisse der Berechnungen, die am Leibniz Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Garching (LRZ) durchgeführt wurden, lassen erstmals Rückschlüsse auf die Art des wichtigen Übergangs von Turbulenzen im Überschall- und Unterschallbereich zu. Sie sind damit ein Meilenstein in unserem Verständnis der Sternentstehung.

Weltweit beschäftigen sich zahlreiche Wissenschaftler mit einer der zentralen und komplexesten Fragestellungen der Astronomie: wann und wie bilden sich aus interstellaren Gaswolken welche Arten von Sternen. Die Antwort auf diese Frage hat tatsächlich weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis der kosmischen Entwicklungsgeschichte und letztendlich der Bildung lebensfreundlicher Planeten wie der Erde. Interstellares Gas, das in der Milchstraße etwa 10-15% der Masse ihrer Sterne ausmacht, durchsetzt den Raum zwischen den Sternen nicht gleichmäßig diffus, sondern ähnelt in seiner Verteilung aufsteigenden und turbulent wirbelnden Rauchschwaden. Und gerade dieses turbulente Verhalten scheint ein Schlüssel dafür zu sein, wie interstellare Gaswolken fragmentieren und welche Größe und Masse diese Fragmente haben, die sich später zu Sternen und Sternhaufen zusammenballen.

Am Institut für Theoretische Astrophysik (ITA) am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) beschäftigt sich die Forschergruppe um Prof. Dr. Ralf Klessen bereits seit vielen Jahren mit diesen turbulenten Eigenschaften interstellarer Gaswolken. Eine besondere Herausforderung stellt hierbei die Tendenz turbulenter Bewegungen dar, von großen Skalen zu immer kleineren Maßstäben zu kaskadieren, so ähnlich wie bei Rauchschwaden mit ihren großen sich schnell aufwärts bewegenden Wirbeln und den darin mitgerissenen und in sich langsameren und kleineren Verwirbelungen. Auch in interstellaren Gas-, Staub- und Molekülwolken, zusammen auch als interstellares Medium bezeichnet, findet dieser kaskadierende Vorgang statt. Allerdings ist das interstellare Medium um viele Größenordnungen dünner als eine Rauchschwade. Typischerweise befinden sich eine bis hundert Gasteilchen in einem Kubikzentimeter Raumvolumen, während es in der Luft 1019 Moleküle sind. Da bei diesem Kaskadenprozess die turbulente Energie zu kleineren Maßstäben hin abnimmt, führt dies in Verbindung mit der niedrigen Viskosität und dem sehr verdünnten interstellaren Medium dazu, dass sich großräumige, meist mit Überschallgeschwindigkeit bewegende Turbulenzen, irgendwann mit Unterschallgeschwindigkeit bewegen. Und genau dieser Übergang - die sogenannte Schallskala - legt die Eigenschaften dichter molekularer Wolkenkerne fest, aus denen sich Sterne bilden könnten. Es wird angenommen, dass diese Skala den Übergang von turbulenz-dominierten zu schwerkraft-dominierten Gebieten markiert, die unter dem Einfluss der Schwerkraft zusammenfallen und Sterne bilden können.

Es gibt zwar theoretische Vorhersagen, wo dieser Bereich liegen sollte. Aber die genaue Lage, Form und Breite dieser Übergangszone war bislang unbekannt. Doch das hat einen Grund. „Die physikalischen Vorgänge sind derart komplex, dass sich deren Wechselwirkung nur mit Hilfe von Computersimulationen erforschen lässt“ erklärt Prof. Klessen. Er und sein Team haben daher in einer internationalen Zusammenarbeit mit mehrerer Institutionen unter der Leitung von Prof. Christoph Federrath von der Australian National University die Ressourcen des Leibniz Rechenzentrums (LRZ) in Garching bei München genutzt, um in der weltweit größten Simulation interstellarer Turbulenz den bislang numerisch nicht zugänglichen Übergang von Überschall- zur Unterschallturbulenz zu untersuchen. Das Forscherteam veröffentlichte seine Forschungsergebnisse jetzt in der Zeitschrift Nature Astronomy.

Um die turbulenten Vorgänge präzise zu simulieren, mussten Federrath und seine Kollegen unter anderem die turbulente Dynamik auf beiden Seiten der Schallskala in dem komplexen, gasförmigen Gemisch des interstellaren Mediums berücksichtigen und dazu Phänomene erfassen, die schneller als mit Schallgeschwindigkeit auftreten, sowie gleichzeitig die Simulation langsam und detailliert genau dort ablaufen zu lassen, wo kleinere und mit geringerer Dynamik ablaufende Vorgänge stattfinden.

 "Für unsere spezielle Simulation, in der wir sowohl die Überschall- als auch die Unterschall-Turbulenzkaskade mit den dazwischen liegenden Bereichen müssen wir mindestens vier Größenordnungen in der räumlichen Skala auflösen." erklärt Federrath eine der besonderen Herausforderungen. Um die Überschall- und Unterschallskala sowie den Übergangsbereich genau zu simulieren, arbeitete das Team mit dem Leibniz Rechenzentrum zusammen, um seine Anwendung auf die mehr als 65.000 Rechenkerne des "SuperMUC"-Supercomputers zu skalieren. Da so viele Rechenkerne verfügbar waren, konnte die Simulation mehr als eine Trillionen räumliche Auflösungselementen handhaben.

Die Ergebnisse der bisher komplexesten Simulationen ihrer Art sind spektakulär. So konnte nicht nur die theoretisch vorhergesagte Lage der Schallskala bestätigt, sondern auch die Breite und Form der Übergangszone vom Überschall- in den Unterschallbereich bestimmt werden. Der Übergang ist nicht scharf, sondern passiert über einen sehr breiten Skalenbereich. "Theoretisch definiert diese Übergangszone die Häufigkeit, mit der "dichte Kerne" in interstellaren Gaswolken zu finden sind." erklärt Ralf Klessen. "Wir haben daher unsere Vorhersage mit Beobachtungen der Gaswolke IC5146 in der Milchstraße verglichen und eine hervorragende Übereinstimmung erhalten. Das ist ein sehr ermutigendes Ergebnis" ergänzt der Astrophysiker eines der zahlreichen Forschungsergebnisse.

Die Simulationen liefern daher aus Sicht der Wissenschaftler wichtige quantitative Informationen für zukünftige turbulenzregulierte Modelle der Filamentstruktur und Sternentstehung in Molekülwolken.

Originale Publikation
The sonic scale revealed by the world’s largest super- sonic turbulence simulation, Christoph Federrath, Ralf S. Klessen, Luigi Iapichino, James R. Beattie, Nature Astronomy, 2021, DOI 10.1038/s41550-020-01282-z 

Video Material

Video animation of the turbulence simulation: www.mso.anu.edu.au ?chfeder/pubs/sonic_scale/Federrath_sonic_scale_lowres.mp4.

Links
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) - https://zah.uni-heidelberg.de/de/willkommen
Forschungsgruppe von Ralf Klessen – www.klessen.org

Medien Kontakt
Dr Guido Thimm
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg University
thimm(at)uni-heidelberg.de

Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Dr. Ralf Klessen
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
Institut für Theoretische Astrophysik
klessen@uni-heidelberg.de

 

 

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