Es gibt wohl kaum ein Forschungsgebiet der Astrophysik, das weltweit so intensiv erforscht wird, wie das der Entstehung von Sternen. Allein in der weltgrößten astrophysikalischen Literaturdatenbank ADS findet man bei der Suche nach wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Sternentstehung mehr als 85.000 Veröffentlichungen. Das wundert Kenner der Materie nicht, denn die Vorgänge rund um die Sternentstehung gehören zu den komplexesten Vorgängen im Universum überhaupt.
Ein wesentlicher Baustein zu Erkenntnisgewinn sind nach wie vor das Sammeln von Beobachtungsdaten zur Sternentstehung, am besten mit den modernsten und besten Teleskopen, die die Welt zu bieten hat. Und je präziser und reichhaltiger die Daten aus diesen Beobachtungen sind, desto besser lässt sich dem Geheimnis der Sternentstehung auf die Spur kommen.
Aus diesem Ansatz heraus fand sich im Jahr 2016 ein Team von rund 90 international renommierten Wissenschaftler*inne aus 30 Forschungsinstitutonen auf vier Kontinenten zusammen, um gemeinsam dem Rätsel der Sternentstehung auf den Grund zu gehen. "PHANGS" war geboren, das Akronym für "Physics at High Angular Resolution in Nearby GalaxieS" (Physik bei hoher räumlicher Auflösung in nahen Galaxien).
Das Ziel von PHANGS ist, hochauflösende Beobachtungen von nahen Galaxien mit mehreren Teleskopen durchzuführen, darunter Hightech-Instrumente wie ALMA und das VLT der Europäischen Südsternwarte sowie das Hubble Weltraumteleskop (HST), um damit das Zusammenspiel der kleinräumigen Physik der Gas- und Sternentstehung mit der galaktischen Struktur und Galaxienentwicklung zu verstehen. Insbesondere Beobachtungen naher und damit im Detail zugänglicher Galaxien sollten verwendet werden um zu verstehen, wie die Physik auf oder nahe der „Wolken“-Skala durch Bedingungen in der Dimension ganzer Galaxien beeinflusst wird, aber auch wie sie Prozesse auf noch kleinerem Maßstab beeinflusst und wie diese wiederum auf die Entwicklung ganzer Galaxien wirken.
Ein ganz besonderer Datenschatz aus dem PHANGS Projekt, dem sogenannte sogenannten "PHANGS-MUSE Large Programme", wurde nun der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. "Dieses Projekt ist bezogen auf den untersuchten Wellenlängenbereich ist in der Tat einer der umfassendsten, tiefsten und hochauflösendsten Datensätze für detaillierte Studien der Sternentstehung, der uns derzeit zur Verfügung steht", bestätigt Dr. Kathryn Kreckel, Emmy Noether Forschungsgruppenleiterin am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH). Dr. Kreckel ist Leiterin der Pilotstudie zu PHANGS-MUSE, stellvertretende Leiterin des PHANGS Forscher*innenteams, das sich mit dem Zusammenhang zwischen Gasionisation und Sternentstehung beschäftigt und Expertin für den Aufbau von Sternmasse durch Sternentstehung. Diese Entwicklung wird durch den Baryonenzyklus, die Umwandlung von Gas in Sterne und den eventuellen Ausstoß und das Recycling dieses Materials reguliert, um die nächste Generation von Sternen zu bilden.
"Die neuen Daten sind für meine Forschung wie die Edelsteine in einer Schatztruhe, die gerade geöffnet wurde. Die Aufnahmen sind nicht nur wunderschön anzusehen sondern auch extrem wertvoll beinhalten sie doch neue Einblicke in die Physik der Sternentstehung." ergänzt Kathryn Kreckel.
Der PHANGS-MUSE Datensatz besteht aus 90 Galaxien, die mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) beobachtet wurden. 38 davon wurden zusätzlich mit dem Hubble-Weltraumteleskop (HST) und wiederum 19 mit dem MUSE-Instrument an einem der VLT-Teleskope untersucht. Letztere werden ebenfalls mit dem James Web Weltraumteleskop beobachtet, sobald es gestartet ist und seinen Betreib aufgenommen hat.
Das Instrument MUSE sammelt Spektren, quasi „Strichcodes“ astronomischer Objekte, die Astronomen scannen können, um die Eigenschaften und die Natur kosmischer Objekte zu enthüllen. MUSE tut das an jedem einzelnen Ort innerhalb seines Sichtfelds und liefert so viel reichere Informationen als herkömmliche Instrumente das bisher konnten. Für das PHANGS-Projekt beobachtete MUSE bisher 30.000 Gasnebel und sammelte etwa 15 Millionen Spektren verschiedener galaktischer Regionen. Die ALMA-Beobachtungen hingegen ermöglichten es Astronomen, rund 100.000 Regionen kalten interstellaren Gases in nahe gelegenen Galaxien zu kartieren, wodurch ein beispiellos scharfer Atlas stellarer Kindergärten im nahen Universum entstand. Durch die Kombination von MUSE- und ALMA-Bildern können Astronomen nun die galaktischen Regionen, in denen die Sternentstehung stattfindet, mit den eigentlich erwarteten Orten vergleichen und dadurch besser verstehen, was die Geburt neuer Sterne auslöst, diese fördert oder verhindert.
Unabhängig von ihrem wissenschaftlichen Informationsgehalt sind allein die resultierenden Bilder einfach nur atemberaubend schön. Es scheint beinahe so, als würde in Galaxien überall ein Feuerwerk abgebrannt um die Schönheit und Faszination des Kosmos zu feiern. Es ist kein Wunder, dass die Forscherinnen und Forscher nun mit Hochdruck und Enthusiasmus daran arbeiten, diese spektakuläre Einblicke in die Kinderstuben unserer Nachbargalaxien zu untersuchen und das Rätsel der Sternentstehung vollständig zu entschlüsseln.
KONTAKT
Dr. Kathryn Kreckel
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
c/o Astronomisches Rechen-Institut (ARI)
kathryn.kreckel@uni-heidelberg.de
Homepage von Dr. Kreckel
ERGÄNZENDE INFORMATIONEN
Homepage des PHANGS Projekts
Homepage der ESO
ESO Pressemitteilung zum PHANGS-MUSE Projekt
Über "MUSE"
MUSE, der "Multi Unit Spectroscopic Explorer" ist ein sogenannter Integral Field Spectrograph (IFS). Ein IFS ermöglicht es, die Gesamtheit eines astronomischen Objekts auf einmal zu beobachten und misst für jedes Pixel die Intensität des Lichts als Funktion seiner Wellenlänge. Die resultierenden Daten sind ein "dreidimensionaler" Datensatz, bei dem jedes Pixel des Bildes ein vollständiges Lichtspektrum aufweist. MUSE teilt das Sichtfeld in 24 einzelne Bildsegmente oder Kanäle auf, die jeweils weiter in 48 Schichten oder „Mini-Slits“ aufgeteilt werden, was insgesamt 1152 Mini-Slits ergibt. Jeder Satz von 48 Minispalten wird in einen Spektrographen injiziert, der das Licht in seine einzelnen Farben zerlegt. Daraus wird das 3D-Bild erstellt.
Über "ALMA"
In den chilenischen Anden betreibt die Europäische Südsternwarte (ESO) zusammen mit ihren internationalen Partnern ALMA, das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA). ALMA ist ein hochmodernes Teleskop zur Untersuchung des Lichts einiger der kältesten Objekte im Universum. Dieses Licht hat Wellenlängen von etwa einem Millimeter, zwischen Infrarotlicht und Radiowellen und wird daher als Millimeter- und Submillimeterstrahlung bezeichnet. ALMA umfasst 66 hochpräzise Antennen, die über Entfernungen von bis zu 16 Kilometern verteilt sind. Diese globale Zusammenarbeit ist das größte existierende bodengestützte astronomische Projekt.
Über "HST"
Das Hubble-Weltraumteleskop (Hubble Space Telescope HST) ist ein Weltraumteleskop, das 1990 in eine niedrige Erdumlaufbahn gestartet wurde und weiterhin in Betrieb ist. Es ist eines der größten und vielseitigsten Weltraumobservatorien. Das Hubble-Teleskop ist nach dem Astronomen Edwin Hubble benannt. Hubble verfügt über einen 2,4-m-Spiegel und seine fünf Hauptinstrumente beobachten im ultravioletten, sichtbaren und nahen Infrarotbereich des elektromagnetischen Spektrums.