Die Massen von Neutronensternen und Schwarzen Löchern liegen meist bei der 1,4- bzw. 6,7-fachen Masse der Sonne. Die Frage nach dem Ursprung dieser Massenverteilung und insbesondere nach der "Massenlücke" dazwischen, ist Gegenstand aktueller astrophysikalischer Forschung. Im Mai 2023 beobachtete der LIGO-Livingston-Gravitationswellendetektor ein Signal namens GW230529 von der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem kompakten Objekt, dessen Masse in diesen bisher menschenleeren Massenbereich fällt.
"Diese aufregende Entdeckung bringt entscheidende Erkenntnisse über die Entwicklung massereicher Doppelsterne", erklärt die Astrophysikerin Prof. Dr. Michela Mapelli von der Universität Heidelberg. Michela Mapelli, seit Juli 2023 Professorin für Computerbasierte Astrophysik an der Universität Heidelberg, ist Principal Investigator des ERC-Consolidator-Projekts DEMOBLACK. DEMOBLACK ist die Abkürzung für "Demography of Black hole binaries in the era of Gravitational-wave astronomy" und zielt darauf ab, die Entstehungskanäle von Schwarzen Löchern mit Hilfe innovativer numerischer Modelle zu beleuchten. Mapelli ist eine der leitenden Wissenschaftlerinnen hinter der Analyse und Interpretation des Gravitationswellensignals GW230529 im Rahmen der LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaboration.
Vor dem ersten Nachweis von Gravitationswellen im Jahr 2015 wurden die Massen von stellaren Schwarzen Löchern und Neutronensternen vor allem durch Röntgen- bzw. Radiobeobachtungen ermittelt. Die abgeleiteten Massen fielen in zwei verschiedene Bereiche, die durch eine Lücke von etwa der 2- bis 5-fachen Masse unserer Sonne getrennt waren. Die Analyse des Signals GW230529 zeigt nun, dass es aus der Verschmelzung zweier kompakter Objekte stammt, eines mit einer Masse zwischen 1,2 und 2,0 Sonnenmassen und eines mit einer mehr als doppelt so grossen Masse, damit also in die Massenlücke fällt. Obwohl Gravitationswellenbeobachtungen inzwischen fast 200 Messungen für die Massen kompakter Objekte geliefert haben, konnte bislang nur ein weiteres kompaktes Objekt in der Masselücke gefunden werden.
"Der Bereich zwischen 3 und 5 Sonnenmassen ist keine einsame Wüste mehr, sie ist lediglich weniger besiedelt. Mehr als 8 Jahre nach ihrem ersten Nachweis überraschen und fordern uns Gravitationswellen also immer noch", schwärmt Mapelli von den Aussichten der Gravitationswellen-Astrophysik. Aus ihren numerischen Modellen gewinnen Mapelli und ihre Forschungsgruppe am Institut für Theoretische Astrophysik des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) detaillierte Informationen über Masse, Rotverschiebung, Verschmelzungsrate und andere fundamentale Eigenschaften kompakter Doppelsternsysteme.
Die Verschmelzung eines Neutronensterns mit dem Schwarzen Loch, die das Signal GW230529 erzeugte, fand höchstwahrscheinlich etwa 650 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt statt. Leider konnte die Richtung zur Quelle nicht präzise bestimmt werden, da zum Zeitpunkt des Signals nur ein Gravitationswellendetektor in Betrieb war. Der vierte Beobachtungslauf aller drei Detektoren wurde jedoch nach einer Wartungspause am 10. April 2024 wieder aufgenommen. Die Messungen werden nun bis Februar 2025 fortgesetzt, ohne dass weitere Beobachtungspausen geplant sind. Am Ende sollte die Gesamtzahl der beobachteten Gravitationswellensignale von rund 80 auf etwa 200 ansteigen. Es wird spannend sein zu sehen, welche Überraschungen das Universum noch für uns bereithält und ob die Massenlücke noch weiter gefüllt wird.
ÜBER GRAVITATIONSWELLEN-OBSERVATORIEN
LIGO wird von der NSF finanziert und von Caltech und MIT betrieben, die das Projekt konzipiert und gebaut haben. Die finanzielle Unterstützung für das Advanced LIGO-Projekt wurde von der NSF angeführt, wobei Deutschland (Max-Planck-Gesellschaft), Großbritannien (Science and Technology Facilities Council) und Australien (Australian Research Council) erhebliche Zusagen und Beiträge zu dem Projekt leisteten. Mehr als 1.600 Wissenschaftler aus der ganzen Welt beteiligen sich an den Bemühungen im Rahmen der LIGO Scientific Collaboration, zu der auch die GEO-Kollaboration gehört. Weitere Partner finden Sie unter https://my.ligo.org/census.php.
Die Virgo-Kollaboration setzt sich derzeit aus ca. 880 Mitgliedern aus 152 Institutionen in 17 verschiedenen (hauptsächlich europäischen) Ländern zusammen. Das Europäische Gravitationsobservatorium (EGO) beherbergt den Virgo-Detektor in der Nähe von Pisa in Italien und wird vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, dem Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien und dem Nationalen Institut für subatomare Physik (Nikhef) in den Niederlanden finanziert. Eine Liste der Virgo-Kollaborationsgruppen findet man unter: https://www.virgo-gw.eu/about/scientific-collaboration/. Weitere Informationen finden Sie auf der Virgo-Website unter https://www.virgo-gw.eu.
KAGRA ist das Laserinterferometer mit 3 km Armlänge in Kamioka, Gifu, Japan. Das gastgebende Institut ist das Institute for Cosmic Ray Research (ICRR) der Universität Tokio, und das Projekt wird gemeinsam vom National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) und der High Energy Accelerator Research Organization (KEK) ausgerichtet. Die KAGRA-Kollaboration besteht aus über 400 Mitgliedern aus 128 Instituten in 17 Ländern/Regionen. Die Informationen von KAGRA für ein allgemeines Publikum findet man auf der Website https://gwcenter.icrr.u-tokyo.ac.jp/en/.
ORIGINALE PUBLIKATION
Die LIGO Scientific Collaboration, die Virgo Collaboration und die KAGRA Collaboration, "Observation of Gravitational Waves from the Coalescence of a 2.5–4.5 solar bodies Compact Object and a Neutron Star", (die Namen der Autoren werden in der von der AAS akzeptierten Veröffentlichung erscheinen), siehe auch doi.org/10.48550/arXiv.2404.0424)
WEITERE INFORMATIONEN
LIGO-Virgo-KAGRA (LVK) Kollaboration
WISSENSCHAFTLICHER KONTAKT
Prof. Dr. Michela Mapelli
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
Institut für Theoretische Astrophysik (ITA)
mapelli@uni-heidelberg.de
Homepage: demoblack.com
ANSPRECHPARTNER FÜR DIE MEDIEN
Dr. Guido Thimm
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH)
thimm@uni-heidelberg.de