Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Neue Analyse verrät mehr schwere Elemente im Universum


NGC6888 ist eine Blase aus ionisiertem Gas, die mit dem Stern WR136 assoziiert ist. Dieser Nebel, der durch stellare Rückkopplungsprozesse erzeugt wird, weist die höchsten Temperaturinhomogenitäten in der vorliegenden Studie auf. Derartige Prozesse scheinen bei der inhomogenen Erwärmung des ionisierten Gases offensichtlich eine wichtige Rolle zu spielen. Quelle: Daniel López (IAC/INT)

Wissenschaftler der Universitaät Heidelberg, des Instituto de Astrofisica de Canarias (IAC) und der Universidad Nacional Autonoma de Mexico (UNAM) schlagen eine Lo?sung für eine seit Jahrzehnten bestehende Diskrepanz in der Häufigkeit schwerer Elemente in Gaswolken von Sternentstehungsgebieten vor. Dieses astrophysikalische Problem stellt bislang unser Wissen über die chemische Entwicklung des Universums in Frage. Die ForscherInnen fanden heraus, dass offenbar ungleichmäßige Temperaturverteilungen in den Gaswolken dazu führen, dass die Häufigkeiten schwerer Elemente systematisch unterschätzt werden. Diese wichtige Erkenntnis wurde jetzt in "Nature" veröffentlicht, einer der renommiertesten wissenschaftlichen Fachzeitschriften der Welt.

In der Geschichte des Universums entstanden chemische Elemente in zwei fundamentalen Phasen. Zunächst bildeten sich unmittelbar nach dem Urknall die Elemente Deuterium, Helium und Lithium. Nachdem sich das Universum weiter ausgedehnt und abkühlt hatte, entstanden Sterne, in denen bis heute chemische Elemente wie Sauerstoff und Stickstoff produziert werden. ZusammensÜße von Neutronensternen oder Supernova-Explosionen erzeugten noch schwerere Elemente wie Silber oder Gold.

Einige dieser Elemente bleiben in langlebigen Sternen oder deren Überresten gebundü oder werden durch Supernova-Explosionen und Sternwinde freigesetzt. Im interstellaren Raum stehen sie dann nachfolgenden Generationen von Sternen als Baumaterial zur Verfügung. Die Veränderungen und räumlichen Variationen in der Häufigkeit chemischer Elemente seit dem Urknall verraten dabei viel über die Evolution galaktischer Strukturen und werden daher intensiv untersucht.

Gaswolken, die von sehr massereichen Sternen bestrahlt werden, emittieren eine große Menge an Strahlung, die selbst aus den größten kosmischen Entfernungen registriert werden kann. Diese überwiegend aus Wasserstoff bestehenden Gaswolken werden auch als "HII-Regionen" bezeichnet. Sie enthalten aber auch schwerere chemische Elemente und durch die Untersuchung deren bei ganz bestimmten Wellenlängen als sogenannte Emissionslinien abgestrahlten Lichts ist es möglich, die chemischen Zusammensetzung zu messen. Einige dieser Emissionslinien entstehen bei Kollisionen zwischen schweren Atomen und freien Elektronen, während andere nach der Rekombination von Elektronen mit den Atomen generiert werden.

Obwohl die Messung der Elementhäufigkeiten in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht hat, blieb ein großes Problem bestehen: Seit den 1940er Jahren wissen wir, dass die aus Rekombinationslinien abgeleiteten Elementhäufigkeiten systematisch etwa doppelt so viele schwere Elemente liefern wie ihre kollisionsangeregten Gegenstücke. Aber welche Häufigkeit ist dann die richtige?

Im Jahr 1967 schlug Manuel Peimbert, einer der Co-Autoren des Artikels, vor, dass eine inhomogene Temperaturverteilung in HII-Regionen die beobachtete Häufigkeitsdiskrepanz verursachen könnte. In einem solchen Szenario würden die heißesten Bereiche die Emission von kollisionsangeregten Linien überproportional verstärken. Infolgedessen wäre die mit diesen Linien ermittelte Temperatur des Gases größer als der tatsächliche Durchschnittswert, was aufgrund verschiedener physikalischer Zusammenhänge zu einer Unterschätzung der chemischen Häufigkeiten führen würde. Im Gegensatz dazu würden Rekombinationslinien aufgrund ihrer geringeren Empfindlichkeit gegenüber Temperaturvariationen weit weniger beeinflusst. Diese würden also die korrekten chemischen Häufigkeiten liefern. Allerdings sind sie rund 10.000 mal leuchtschwächer als die hellen kollisionsangeregten Linien. Daher hat das Fehlen von Beweisen für das Vorhandensein von Temperaturinhomogenitäten in HII-Regionen die Verwendung von Rekombinationslinien zur Ableitung chemischer Häufigkeiten weitgehend verhindert.

Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden ging der Erstautor des Artikel, Jose Eduardo Mendez-Delgado, davon aus, dass sich die Temperaturschwankungen in den HII-Regionen auf die Bereiche konzentrieren könnten, die in der Nähe der Sterne stärker bestrahlt und daher stärker ionisiert sind. Wenn es aufgrund von stellaren Rückkopplungsphänomenen wie Schocks, Sternwinden oder Helligkeitsschwankungen zu einer inhomogenen Erwärmung kommt, ist der am stärksten betroffene Bereich derjenige, der den Sternen am nächsten liegt. In diesem Fall sollte der Temperaturunterschied zwischen den Bereichen mit hohem und niedrigem Ionisationsgrad mit einem Parameter korreliert sein, der die bislang bestehende Häufigkeitsdiskrepanz quantifiziert. Und tatsächlich folgten alle verfügbaren Beobachtungen von HII-Regionen einer solchen Korrelation. "Es ist das erste Mal, dass eine generelle Lösung dieses Problems durch starke Beweise gestützt wird", sagt der Wissenschaftler, der am Astronomischen Rechen-Institut (ARI) des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg forscht.

Tatsächlich fanden Mendez-Delgado und seine Kollegen in ihrer Analyse heraus, dass es möglich ist, die korrekten chemischen Häufigkeiten abzuleiten, indem man die kollisionsangeregten leuchtstarken Emissionslinien von Ionen mit geringer Ionisation wie z. B. Stickstoff verwendet. "Die Indizien, die zur Lösung des Problems erforderlich waren, waren bereits alle in Datenbanken astronomischer Spektren verfügbar. Wie Sherlock Holmes mussten wir es nur aus der richtigen Perspektive betrachten", fügt der Astrophysiker hinzu.

Dr. Kathryn Kreckel, Forschungsgruppenleiterin am Astronomischen Rechen-Institut und ebenfalls Mitautorin der Studie, schätzt, dass sich viele Schlussfolgerungen über die chemische Zusammensetzung und Entwicklung galaktischer Systeme ändern könnten, da sie auf kollisionsangeregten Linien basieren, die die Häufigkeit schwerer Elemente unterschätzen. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Temperaturinhomogenitäten bei weniger entwickelten Objekten im Universum besonders groß sein könnten, wie z.B. bei den fernen und jungen Galaxien, die wir mit dem James Webb Space Telescope (JWST) entdecken. Dieser Umstand macht diese Entdeckung noch spannender.", ergänzt Kreckel, zu deren Arbeitsgruppe auch Dr. Mendez-Delgado gehört.


ORIGINALPUBLIKATION

Temperature inhomogeneities cause the abundance discrepancy in HII regions, J. Eduardo Me?ndez Delgado et al, NATURE, doi.org/10.1038/s41586-023-05956-2


WISSENSCHAFTLICHER KONTAKT
Dr. Jose Eduardo Mendez Delgado
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
Astronomisches Rechen-Institut
E-Mail: jemd@uni-heidelberg.de


KONTAKT FU?R DIE MEDIEN
Dr. Guido Thimm
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
thimm@uni-heidelberg.de

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