Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die längste Sternenwiege der Milchstraße


Auf diesem Falschfarbenbild ist grünlich leuchtend die Verteilung des atomaren Wasserstoffs in der neu entdeckten Struktur unterhalb der Milchstraßenebene dargestellt. Die rote gestrichelte Linie markiert den Verlauf des „Maggie“-Filaments. Bild: J. Syed/MPIA

In der Milchstraße wurde eine 3900 Lichtjahre lange Struktur identifiziert, die fast ausschließlich aus atomarem Wasserstoff besteht und den frühestmöglichen Zustand von Materie am Beginn des Sternbildungsprozesses markieren könnte. Die Forschungsergebnisse, zu denen auch Wissenschaftler des ZAH beigetragen haben, wurden in der Fachzeitschrift "Astronomy & Astrophysics" veröffentlicht.

Die Entstehung und Entwicklung von Sternen aus kosmischer Materie gehört zu den komplexesten Vorgängen im Universum seit seiner Entstehung vor rund 13 Milliarden Jahren. Aus diesem Grund sind weltweit zahlreiche Forschungsgruppen damit beschäftigt, diesen Vorgang auf alle nur erdenklichen Aspekte hin zu untersuchen. Möglichst alle Umstände und Zeiträume im Leben von Sternen - lange vor ihrer Geburt als leuchtende Gasbälle bis zu ihrem Vergehen als verglühender Sternenrest oder spektakulärer Supernova - stehen dabei im Fokus.

Ein Team von Astronominnen und Astronomen unter Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA), hat in der Milchstraße nun eine 3900 Lichtjahre lange Struktur identifiziert, die fast ausschließlich aus atomarem Wasserstoff besteht und dem frühmöglichen Zustand von Materie am Beginn des Sternbildungsprozesses entsprechen könnte. Die Entdeckung wurde durch ein Beobachtungsprogramm namens THOR möglich, das in den Jahren 2012 bis 2015 mit dem "Very Large Array (VLA)" durchgeführt wurde, einem Interferometer für astronomische Beobachtungen im Radiobereich im amerikanische New Mexico. THOR steht für "The HI/OH/Recombination line survey of the Milky Way".

An der Planung des Beobachtungsprogramms waren auch Ralf Klessen und Simon Glover vom Institut für Theoretische Astrophysik am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg beteiligt. Deren Expertise liegt vor allem bei der theoretischen Modellierung von Sternentstehungsprozessen. Beide sind daher von der neuen Entdeckung begeistert. "Wir konnten durch unsere Modelle wesentlich zur Interpretation der Daten als zusammenhängendes Gasfilament beitragen, das sich quasi gerade erst dazu entschlossen hat, Sterne entstehen zu lassen." resümiert Klessen. Simon Glover, Spezialist für Astrochemie und atomare Prozesse in Zusammenhang mit der Bildung von Sternen, schätzt vor allem die Reichhaltigkeit der Daten, mit deren Hilfe sich seine theoretischen Vorhersagen sehr gut testen lassen. "THOR hat uns Messungen zu einer Reihe wichtiger atomarer Rekombination und Emissionen geliefert, die wir zu Anpassung unsere Modelle nutzen." erklärt der Astrophysiker. So deuten die Messungen darauf hin, dass sich in dem Gebilde das atomare Gas zu molekularem Wasserstoff verbindet. Dieser Vorgang begleitet die Verdichtung ds Gases durch seine Eigengravitation und die spätere Bildung von Sternen. Tatsächlich fanden die Forschenden, dass das Gas an einigen Stellen entlang des Filaments aufeinander zuläuft. Daraus schließen sie, dass sich Wasserstoff an diesen Orten anhäuft, verdichtet, und das atomare Gas dort allmählich in seine molekulare Form übergeht.

Wasserstoff ist das mit Abstand häufigste Element im Universum und Hauptzutat bei der Entstehung von Sternen. Dennoch sind Wolken aus Wasserstoffgas schwierig nachzuweisen, was die Erforschung der extremen Frühphasen der Sternentstehung erschwert. Daher ist die Entdeckung der überraschend langen Struktur aus Wasserstoff - auch "Filament" genannt - durchaus sensationell.

Dazu beigetragen hat die Lage dieses Filaments“, erklärt Jonas Syed, Doktorand am MPIA und Erstautor des im Fachjournal Astronomy & Astrophysics erschienenen Artikels. „Wir wissen zwar noch nicht genau, wie es dorthin gelangt ist. Aber das Filament verläuft etwa 1600 Lichtjahre unterhalb der Milchstraßenebene.“ Dadurch hebt sich die Strahlung des Wasserstoffs, deutlich vor dem Hintergrund ab und macht das Filament sichtbar.

Einen ersten Hinweis auf dieses Filament fand der Co-Autor der Studie, Juan D. Soler, übrigens bereits vor einem Jahr. Er taufte das Filament damals auf den Namen „Maggie“ nach dem längsten Fluss seines Heimatlandes Kolumbien, genannt Río Magdalena.

Da der Übergang von atomarem zum molekularem Wasserstoff noch weitgehend unbekannt ist, wird dieses außergewöhnlich lange Filament in Zukunft sicher noch sehr viel intensiver studiert werden und lässt eine Vielzahl neuer Erkenntnisse erwarten.

 

ORIGINALE VERÖFFENTLICHUNG

J. Syed, J. D. Soler, H. Beuther, et al., The “Maggie” filament: Physical properties of a giant atomic cloud, Astronomy & Astrophysics (2021), DOI doi.org/10.1051/0004-6361/202141265


NÜTZLICHE LINKS
Homepage des THOR-Projekts: https://www2.mpia-hd.mpg.de/thor/Overview.html

Homepage von Ralf Klessen: klessen.org


KONTAKT FÜR DIE MEDIEN
Dr. Guido Thimm
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
thimm@uni-heidelberg.de


WISSENSCHAFTLICHER KONAKT
Prof. Dr. Ralf Klessen
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
Institut für Theoretische Astrophysik
klessen@uni-heidelberg.de

apl. Prof. Dr. Simon Glover
Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg
Institut für Theoretische Astrophysik
glover@uni-heidelberg.de

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